Hurghada
Musste man in Spanien und Italien über Jahrhunderte die Vegetation mühsam abholzen, um den Badeurlaubern das Erlebnis „Meer pur“ bieten zu können, tut man sich im ägyptischen Hurghada leicht. Der Sandstrand des Roten Meeres ist gleichzeitig der Anfang der Wüste. Dank mittlerweile einer Million Touristen pro Jahr stören die Reste der arabischen Ursprünge kaum noch, im Gegenteil: Die Händler des alten Basars im Stadtteil Bahar werden von Westmenschen alimentiert, die ihren Konsumjahresplan erfüllen müssen. Von den ungezählten Edelgewürzen des Basars gelangt freilich kein einziges in die Großküchen der Hotelsilos längs der dreißig Kilometer Strandwüste, soll doch die antiseptische Wirkung der Gewürze keinesfalls der im Reisepreis enthaltenen Magendarmkrankheit Einhalt gebieten.
Sanitärinstallateur Erwin L. aus Soest wollte nicht länger auf dem Weg zum Strand auf dieselben Hotelfragmente blicken (in Ägypten glaubt man, es bringt Unglück, wenn man das Haus eines Pleitiers weiterbaut) und hatte genug davon, täglich auf der Schnellstraße vor dem Strand von vier Mann auf einem Moped überfahren zu werden. So buchte er einen Schnorchelausflug im Glasbodenboot. Zusammen mit betrunkenen Russen und tauchte er zwischen Korallenriffen und bizarr schönen Aquariumfischen. An den vom Anker des Bootes abgerissenen Korallenteilen konnte er beobachten, wie die Entdeckung dieses Paradies dessen Schönheit zerstört. Um weniger sensiblen Nachtauchenden diesen Eindruck auch zu ermöglichen, hinterließ er drei Bierbüchsen und eine leere Schwarzbrotdose auf dem Riffgrund, womit zwei Clownfische gleich fröhlich spielten. Die Russen steuerten drei Flaschen Wodka bei.
Als Erwin der Bewegungsfreiheit im dreidimensionalen Meer überdrüssig wurde, buchte er Ausflüge nach Luxor und Gizeh und kroch bei vierzig Grad mit hunderten Gleichgesinnten durch die ellenhohen Grabeingänge der Pyramiden. In der James-Bond-Kulisse der Tempel von Karnak erklärte ihm der bestgelaunte guide Abdu, wie lange es gedauert habe, die Sehenswürdigkeiten zu bauen, wie viele Menschen dafür sterben mussten, und wie schnell all dies heute die moderne Tempelbaugesellschaft Coca Cola bewerkstellige.
Erwin wollte in einer Woche seinen Erholungsplan komplett durchziehen, musste aber erkennen, dass Hurghada und Ägypten die denkbar schlechtesten Destinationen dafür sind: Wenn hier etwas (in seinem Fall das Eintreffen des Kite-Surf-Lehrers für ein Informationsgespräch) eine Stunde dauern soll, handelt es sich um eine „ägyptische Stunde“, welche jedes Vielfache (>1) einer konventionellen Stunde betragen kann. (Erwin traf den Lehrer zwei Tage später am Flughafen, als dieser neuen Gästen mit preisintensiven Stoffkamelen und einer herzerweichenden Geschichte aufwartete.) Seine Urlaubswoche jedoch war pünktlich nach exakt sieben Tagen vorbei.
Auf dem ägyptischen Basar wird aufgerundet.
Dank an Christin T.