Wien

29.09.2013 10:01


Man könnte glauben, Wien sei eine der attraktivsten Städte überhaupt: mondäne Stadthäuser, zeitlose Caféhäuser, sensibel benannte Wurstspezialitäten von Burenhaut bis Eitrige, das  auf der Donau grillende  Mischvolk, die ungezählten Heurigenlokale und Beisln, die Riesenschnitzel im Schloss Concordia, der gutgelüftete Wienerwald, die Rehe auf dem Zentralfriedhof, die Elektronikszene am Donaukanal, die mit garstigen Metaphern angereicherte Sprache, u.u.u.

Doch sieht man genauer hin, wird klar, dass die Melancholie und Morbidität im Werk von Wiener Künstlern wie Josef Hader, Wolfgang Ambros, Ludwig Hirsch, Helmut Qualtinger u.v.m. kein Humor („Wiener Schmäh“), sondern lediglich bittere Aufzeichnung der Realität sind. So filmte der Regisseur Ulrich Seidl aus purer Chronistenpflicht das Treiben in Durchschnittswohnungen („Hundstage“) und hinter dem Laufsteg („Models“).

Nirgendwo zerstört man sich das Hirn konsequenter mit Drogen als in Wien, nirgendwo begegnen einem so junge Menschen mit neuronalen Ausfällen, nirgendwo macht man mehr Geschäfte im Bordell und lässt sich öffentlich ungehemmter über die Arbeitsgewohnheiten von Immigranten, die bescheidene Fellatio-Begabung der Gattin und die Feinstruktur der eigenen Fäkalien aus. Das eigentlich prosperierende Österreich wird tunlichst von der bräsig-korrupten Politikerkaste Wiens ruiniert, Skandale bewältigt, indem schneller neue vom Zaun gebrochen werden, als man die bestehenden aufklären könnte.

Optimisten mögen annehmen, die in Wien hinreißend gepflegte K&K-Vergangenheit biete dennoch einen lehrreichen Einblick in die Zeiten von Kaiser Franz-Josef, Radetzkymarsch und Operettensause. Doch erstens war die Vergangenheit bereits zu ihrer Zeit hoffnungslos verklärt, und zweitens charakterisiert Traumdösigkeit im Verbund mit Geltungssucht genausogut das Heute.
 

Neurochirurg Karl H. aus Lindenfeld wurde beim Entspannungsversuch in einem Straßencafé von einem Wiener Ober gefragt: „Woll’s was bstöin oder de Speiskortn auswendig lerna?“. Nach einer Weile bloßen Ärgers dachte Karl: Das ist keine gepflegte Unfreundlichkeit, sondern unfreundliche Brauchtumspflege. Brauchtum freilich, das er nicht braucht.

 

 

Tortenparade zum Gedenken an die damit rundgenährten kaiserlich-königlichen Offiziere